Eine wahre Ehestandsgeschichte von Freiherrn von Schlicht.
in: „Dresdner Nachrichten” vom 14.03.1912
Meine Frau und ich leben in der denkbar glücklichsten Ehe — wer das nicht glaubt, braucht nur einmal zugegen zu sein, wenn wir uns streiten, und das tun wir nie, denn meine Frau und ich sind stets ein- und derselben Ansicht. Ich will stets, was meine Frau will, und meine Frau will stets, was ich will, sie hat nie einen anderen Willen, höchstens, daß sie einmal sagt: „Ich meine ja nur — —!”
Wir waren von der Sommerreise zurückgekehrt, nicht, weil wir reisemüde waren, sondern weil wir kein Geld mehr hatten. Wir waren vorübergehend so pleite, daß wir uns gegenseitig unser letztes Zwanzig-Mark-Stück borgten und vertrauensvoll dem Tage entgegensahen, der neue Zinsen und neue Einnahmen bringen sollte. Und angesichts unserer Notlage faßte meine Frau die beiden Vorsätze: „Wir wollten ja in Zukunft so sparsam sein, wir wollten uns nie wieder etwas kaufen und vor allen Dingen, nie wieder reisen — — niemals, höchstens wieder im nächsten Sommer, vielleicht auch schon im Frühjahr, aber den Winter über bleiben wir ganz bestimmt zu Haus, zu Haus war es ja auch schließlich am schönsten. Was sollten wir da auf Reisen?”
Ich hörte meiner Frau aufmerksam zu, wie sie mir unsere Pläne zur Sparsamkeit entwickelte, und dachte dabei — — — nein, ich dachte gar nichts, denn wenn eine Frau vom Sparen spricht, dann träumt sie, und es ist grausam, einen Menschen aus seinen Träumen zu wecken.
Wir wollten sparen, um wieder einzuholen, was wir im Sommer zu viel ausgegeben hatten, und vor allen Dingen wollten wir ganz bestimmt den Winter über nicht reisen — bis meine Frau dann doch eines Mittags, als wir bei dem Kaffee und der Zigarette beisammen saßen, ganz plötzlich und unvermittelt zu mir sagte. „Weißt Du, wunderschön muß es jetzt da unten in Meran sein.”
Ich glaubte, nicht recht gehört zu haben: „Wie kommst Du nur darauf, ich denke, wir wollen diesen Winter über hier bleiben?”
„Gewiß,” stimmte meine Frau mir lebhaft bei, „ich denke auch gar nicht daran, zu reisen, ich meine doch nur.”
Also meine Frau dachte gar nicht an die Reise, sie hatte es nur so gemeint, und damit war die Angelegenheit für mich erledigt, bis meine Frau nach einer ganzen Weile wieder zu mir sagte: „Auf keinen Fall aber würde ich wieder den riesigen Hutkoffer mitnehmen. Ich habe es ja auf der Reise gesehen: was trägt man heutzutage als vornehme Dame für Hüte? Einzig und allein nur die großen englischen, das ist das Vornehmste und das Eleganteste. An den vier Hüten, die ich mir damals in Hamburg kaufte, hätte ich mehr als genug.”
„Gewiß,” gab ich zur Antwort, „aber da wir gar niucht reisen wollen, brauchst Du auch gar nicht genug Hüte zu haben.”
„Da hast Du allerdings recht,” erwiderte meine Frau, „ich meine doch auch nur.”
So schwieg ich denn ganz still, bis meine Frau zu mir sagte:; „Und so viele Kleider, wie im vorigen Jahr, würde ich auch nicht wieder mitnehmen — — Gott, unterbrich mich doch nicht,” fuhr sie erregt fort, als ich eine ungeduldige Bewegung machte, „ich meine doch nur. Du hast es ja im vorigen Jahr gesehen, selbst die elegantesten Damen hatten nicht mehr als drei Promenadenkleider und ebenso viel Dinertoiletten mit. Ich denke auch nicht daran, mir noch in Zukunft so viel Kleider machen zu lassen wie früher.”
Ich erhob meine Hände und legte sie meiner Frau auf das Haupt: „Gott segne Dich dür diesen Entschluß und gebe Dir die Kraft, ihn durchzuführen.”
„Ich werde ihn durchführen,” meinte meine Frau energisch, dann setzte sie hinzu: ”Zwei hübsche Federhüte müßte ich aber natürlich für die Reise noch haben, denn nur die englischen großen Hüte zu tragen, bekommt man mit der Zeit ja auch über, aber Kleider habe ich mehr als genug, höchstens, daß ich mir noch ein hübsches Promenadenkleid und eine Dinertoilette kaufte, das wäre aber auch das Aeußerste, und wenn ich mir dann noch fünf oder sechs hübsche Blusen dazu nehme, natürlich nur ganz billige, das Stück zu dreißig oder vierzig Mark oder allerhöchstens achtzig Mark, dann wäre ich mehr als reichlich ausgestattet.”
Ein Verzweiflungsschrei entrang sich meinen Lippen: „Aber Weib, über alles geliebtes Weib,” bat ich, „wir wollen doch gar nicht reisen, wozu machst Du denn nur solche Reisepläne?=”
Wieder blickte mich meine Frau völlig verständnislos an, dann sagte sie: „Du bist wirklich komisch, ich mache doch gar keine Reisepläne, ich meine doch nur, und man kann doch mal von einer Reise sprechen, ohne sie gleich ausführen zu wollen. Davon, daß wir jetzt fahren, kann doch gar nicht die Rede sein, denn ich habe kein Geld.”
„Und ich erst recht nicht,” fiel ich meiner Frau schnell ins Wort.
„Na also,” meinte sie ganz gelassen, „dann ist die Sache ja damit erledigt,” bis sie dann plötzlich wieder zu mir sagte: „Du brauchst nun nicht gleich wieder heftig zu werden, aber wenn wir reisten, könnte ich mir schließlich dreitausend Mark, die wir brauchen würden, von meiner Bank schicken lassen.”
„Das wäre ein Wahnsinn,” brauste ich auf.
Meine Frau legte ihre kleine Kinderhand beschwichtigend auf meinen Arm: „Sei doch gut,” bat sie, „in Wirklichkeit denke ich gar nicht daran, an den Bankier zu schreiben, ich meine doch nur!”
„Nun hör' aber endlich auf zu meinen,” bat ich, „laß uns endlich von etwas anderem sprechen.”
Das taten wir denn auch, bis dann plötzlich und unerwartet der Geldpostbote erschien und mir für die Neuauflage eines Romans ein beträchtliches Honorar brachte.
„Was machst Du nur mit dem vielen Geld?” erkundigte meine Frau sich, nachdem sich unsere erste Freude gelegt hatte; dann setzte sie hinzu: „Weißt Du, ich würde an Deiner Stelle das Geld auf die Bank bringen, damit Du für alle Fälle ein paar Mark hast, wenn irgendeine unerwartete Ausgabe an Dich herantreten sollte, oder wenn wir vielleicht diesen Winter-Schluß doch noch für ein paar Wochen nach dem Süden gehen.”
„Fängst Du schon wieder damit an?” schalt ich.
„Gott, ich meine ja nur,” verteidigte sich meine Frau, „und schließlich, wenn ich vom Reisen spreche, wenn ich überhaupt daran denke, daß wir vielleicht doch nach Meran gehen, dann geschieht es in der Hauptsache doch nur Deinetwegen; Du hast in Deinem Leben genug gearbeitet, Du mußt Dich auch wieder einmal zerstreuen. Da unten siehst Du elegante Menschen, kommst mit interessanten Leuten in Berührung, die schöne Natur, die hübschen Konzerte, die herrlichen Spaziergänge, der Aufenthalt in dem wundervollen Hotel Bristol, die ausgezeichnete Küche — — — —”
Und mit einemmal kam die Reiselust und die Sehnsucht nach dem schönen Meran auch über mich, und, meine Frau an mich ziehend, rief ich: „Weib, komm her, wir sind jung, wir wollen das Leben genießen, solange wir's noch können! Laß uns die Koffer packen, heute abend fahren wir los, morgen nachmittag sind wir in Meran!”
Ein Kuß war die Antwort, ein Kuß, wie ihn mir meine Frau in unserer Ehe noch nie gegeben hatte, dann eilte sie davon, um den Mädchen zu klingeln, und gleich darauf begann das Kofferpacken. Ich selbst blieb in meinem Zimmer, um noch einige geschäftliche Sachen zu erledigen, bis dann plötzlich meine Frau in meinem Zimmer stand, und neben meiner Frau stand die Zofe, und neben der Zofe stand das Hausmädchen, und neben dem Hausmädchen stand meine Tippdame, und neben der Tippdame stand die Köchin, und eine jede trug etwas in den Händen. Die eine ein neues Kleid, die andere einen neuen Hut, die dritte ein neues Kleid und einen neuen Hut, die vierte hatte den Arm voller Blusen, und die fünfte hatte in der linken Hand ein neues Kleid, in der rechten einen neuen Abendmantel, und da sie nur zwei Hände besaß, trug sie den neuen Hut auf dem Kopfe.
Und als meine Frau mein ganz verdutztes Gesicht sah, meinte sie schnell: „Weißt Du, eigentlich wollte ich Dir die neuen Sachen erst in Meran zeigen und Dich dort damit überraschen, ich wollte sie mir auch erst gar nicht kaufen, denn ich wußte doch gar nicht, ob wir auf Reisem gehen würden, aber nun freue ich mich doch, daß, ich gleich alles gekauft habe, denn sonst könnten wir heute noch gar nicht fort, sondern müßten vielleicht noch eine Woche oder noch länger warten, bis alles fertig wäre. Aber nicht wahr, Du findest die Hüte und die Kleider doch auch bezaubernd?”
Das tat ich denn wirklich, dann nahm das Packen seinen Fortgang, und am Abend traten wir die Reise an.
Und da geschah es, daß ich meine Frau fragte; „Was wäre aber nun mit den neuen Sachen geworden, wenn wir gar nicht gereist wären? Wärest Du da mit Deinem Einkauf nicht sehr voreilig gewesen?”
Ein fröhliches Lachen war die Antwort: „Wir wären ganz bestimmt gereist, denn nun kann ich es Dir ja auch gestehen — ich hatte mir das Reisegeld von der Bank schon schicken lassen.”
Und als sie dann mein böses Gesicht sah, schmiegte sie sich zärtlich an mich und bat mit ihrer weichsten Kinderstimme: „Sei doch wieder gut, wir können das Geld nun ja wieder zurückschicken, und bei allem, was mir heilig ist, schwöre ich Dir: Wenn ich mir das Geld auch schicken ließ, und wenn ich mir auch die Sachen kaufte, ich habe nie ernstlich an die Reise gedacht, ich meinte doch nur —!”